Verlieren, suchen & wiederfinden

von | 27. Oktober 2022 | dein Herz & Gott |

Ich weiß noch, wie dieser kleine Hundeanhänger den Weg zu mir gefunden hat. Wie ich ihn an meinem Schlüsselring befestigte und er mich fortan, zwölf Jahre lang Tag für Tag begleitete. Doch dann verlor ich meinen Schlüssel. Als ich nach ihm suchte, stellte ich fest, dass ich noch viel mehr verloren hatte…

Verlieren & Suchen

„Eben hatte ich ihn doch noch? Der kann doch nicht einfach weg sein!“ Wir kommen vom Straßenfest nach Hause und mein Hausschlüssel ist spurlos verschwunden. Ich drehe meine Jacken- und Hosentaschen von rechts auf links, leere den gesamten Inhalt meiner Handtasche auf den Esstisch und wühle zwischen Portemonnaie, Probierstrümpfen vom letzten Schuhkauf und Bonbonpapieren. Der Schlüssel bleibt verschwunden.

Das Verschwinden meines Schlüssels trifft mich tief. Nach tagelanger Suche an allen möglichen und unmöglichen Orten, komme ich zu dem Ergebnis, dass ich ihn verloren haben muss. Ich werde ganz wehmütig und sitze Trübsal blasend am Esstisch.

 „Es ist nur ein Schlüssel, wir haben noch Ersatz, mach dir keine Gedanken“, sagt mein Mann.
„Du verstehst das nicht“, antworte ich.

Der Schlüsselbund meines Mannes ist sehr funktional. Mehrere Schlüssel zusammengefasst mit einem Karabinerhaken und das wars. Mein Hausschlüssel hingegen trägt Erinnerungen. Neben dem Hundeanhänger war ein selbstgenähtes Schlüsselband dran. Ich sehe mich im Wartezimmer beim Arzt damit spielen oder auf dem Beifahrersitz, kurz bevor wir unser Haus erreichen. Ich sehe mich, wie ich das Schlüsselband durch meine Finger gleiten lasse und meinen Gedanken nachhänge.

 „Ich fühle mich wie eine Fremde im eigenen Haus. Außerdem muss ich dich ab jetzt immer nach dem Briefkastenschlüssel fragen“, sage ich und seufze schwer.
„Dann mach ich meinen halt ab und lege ihn unter den Spiegel, dann kannst du den Briefkasten öffnen, wann immer du willst“, meint mein Mann.
„Das ist nicht dasselbe“, antworte ich und schiebe schmollend die Unterlippe nach vorn, als würde mein Schlüssel davon lebendig werden, aus einem dunklen Eck hervorspringen und mit schlechtem Gewissen rufen: „Hab nur Spaß gemacht, ich bin wieder da-ha!“

Mein verlorener Schlüssel ist nur das i-Tüpfelchen auf meinem chaotischen Innenleben. Ich bin durcheinander. Vieles, was für mich bisher glasklar war, ist es auf einmal nicht mehr. Ist die Welt, ist Gott oder bin ich wirklich so, wie ich bisher immer gedacht habe? Ich erkenne, mein Schlüssel ist nicht das Einzige, was ich verloren habe.

Zweifel & Glaubenskrise

Ich habe meinen festen Glauben, meine Überzeugungen verloren. Ich schreibe keine Blogartikel, weil die Zweifel an mir und die Zweifel an meinen Vorstellungen, wie Gott ist und handelt ins Wanken gekommen sind. Wie kann ich andere ermutigen, wenn ich gerade selber so unsicher bin? Genauso, wie ich verzweifelt nach meinem Schlüssel suche, mache ich mich auf die Suche nach Ermutigung. Ich lese Texte, höre Vorträge und Predigten. Manches bringt mich noch mehr durcheinander und plötzlich fühle ich mich fremd. Wo ist die Heimat in Gott? Ich habe mehr Fragen als Antworten. Manchmal fühlt es sich an, als würde mein Kopf platzen, mein Herz steht in der Schusslinie und die Granatsplitter meiner Gedanken hinterlassen tiefe Wunden.

Neuanfang & Wiederfinden

Wochen später schnurrt das Nähfüßchen meiner Nähmaschine über ein neues Schlüsselband. Ich personalisiere unseren Ersatzschlüssel und mache ihn zu meinem neuen Türöffner. Einen Tag später stecke ich ihn in meine Handtasche, ich breche auf zu einem Museumsbesuch.

Staunend stehe ich vor den Vitrinen und als ich mein Handy für ein Foto aus der Handtasche holen will, stelle ich fest, dass es nicht da ist. Mein Herz rast. „Bitte, bitte, das darf nicht wahr sein!“ Während ein Besucherstrom an mir vorbeizieht, kniee ich auf dem kühlen Fliesenboden und untersuche das Handtaschenfach. Meine Hände tasten ins Leere, fühlen den dünnen Stoff und ich spüre, wie Tränen in mir aufsteigen. Nicht mein Handy! All die Fotos und persönlichen Notizen, ich will nicht darüber nachdenken. Was, wenn das alles weg ist?

Plötzlich spüre ich einen Riss in der Naht, ganz versteckt und unscheinbar. Ich schiebe meine Hand durch das Loch und tauche in die (Un)tiefen meiner Handtasche ein, als würde ich ein geheimes Kellergewölbe erkunden. Ein altes Taschentuch, unsere Eintrittskarten, mein Handy, mein neuer Schlüssel und daran hängt?

Mein verlorener Hausschlüssel, samt Briefkastenschlüssel, Hundeanhänger und Schlüsselband! Zärtlich streiche ich über die Schlüssel und gebe in Gedanken dem Hundeanhänger einen Kuss. Ich bin total überrascht und freue mich unbändig!

Als ich nach Hause fahre, bin ich sehr nachdenklich. Mein Schlüssel ist wieder da, aber die Verwirrung in meinem Kopf, meine Zweifel an Gott, mir und der Welt sind noch da. Die Gewissheit ist bisher nicht zurückgekehrt.

Es dauert noch viele Wochen, bis sich an meinem inneren Chaos was ändert. Ich höre auf Predigten zu hören, oder Vorträge. Ich bin überfordert mit so vielen Meinungen und Aussagen und mein Herz trauert. Es sehnt sich nach ganz tiefer Verbundenheit und Nähe zu Gott. „Gott siehst du mich? Ich brauch dich! Ich will dich wiederfinden!“

Gottes Gegenwart verschwindet nicht

Ich gehe spazieren. Während meine Hände in den Manteltaschen vergraben sind, umfasst meine linke Hand den Schlüsselbund. Ich habe das alte gegen das neue Schlüsselband ausgetauscht, aber der Hundeanhänger ist noch dran. Eine Verbindung aus neu und alt sozusagen.

Ich erinnere mich, wie das war, als ich den Schlüssel wieder gefunden habe. In mir sind immer noch mehr Fragen als Antworten. Alte Antworten funktionieren nicht mehr. Aber ich spüre, wie ich damit Frieden schließe, denn für Gott sind meine Fragen gar kein Problem. Er bleibt bei mir, auch wenn ich das nicht beweisen oder immer gleichbleibend fühlen kann.

Vielleicht ist das mit Gott genauso wie mit meinem Schlüssel, denke ich. Gott ist nicht weg, aber meine Vorstellung von ihm war zu eng und er hat meine Überzeugungen zum Platzen gebracht. So wie das Handtaschenfach gerissen ist. Und dann? Dann ist Gott ganz tief in mich hineingefallen, so wie der Schlüssel in unerforschte Tiefen. Neues verbindet sich dort mit Altem. Gott ist größer als alles, was ich bisher dachte, wusste, fühlte. Gott lebt in mir und er weitet meine Sicht, das ist in Ordnung. Meine Zweifel und Fragen ändern nichts an Gottes Präsenz, das macht mich froh!

Wie ist das bei dir? Hast du mehr Fragen als Antworten? Hast du deinen Glauben verloren und trauerst, weil du nicht weißt, wie du mit diesem Verlust weitergehen kannst?

Ich lade dich ein, mutig deine Fragen zu stellen, auch wenn sie sich unbequem anfühlen. Ich wünsche dir, dass Gott dir in der Tiefe ganz neu begegnet und er dir Gewissheit schenkt, dass er nicht geht.

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